Selbstbestimmung? Quatsch!
In den letzten zwei Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, daß moderne Konzepte für Teams in Unternehmen viele Fallstricke haben. Dinge, die auf den ersten Blick sozial und motivierend klingen, erweisen sich als möglicher Showstopper auf dem Weg, ein erfolgreiches Unternehmen zu werden.
Gern berichte ich hier einige Anekdoten aus gemachten Erlebnissen:
- Selbstbestimmtes Arbeiten — schon klar!
- Was hab ich davon?
- Mitarbeiter-Mix
- Moderne Gehaltsysteme und deutsches Arbeitsrecht mögen sich nicht
1. Selbstbestimmtes Arbeiten — schon klar!
Alle reden davon, viele wollen es. Vor allem die Generation Y kann sich nichts anderes mehr vorstellen. Die Arbeit muss selbstbestimmt sein. Ich möchte als motivierter Mitarbeiter ein Ökosystem vorfinden, in dem ich über so gut wie alles selbst bestimmen kann: Arbeitszeit, Arbeitsort, Arbeitsweise, Arbeitsumfang, Gehalt … echt jetzt?
Klingt für mich nach Pipi Langstrumpf. “Ich mache mir die Welt wie sie mir gefällt.” Das mag bei der guten Pipi auch gut funktionieren. Aber sie hat gegenüber normalen Unternehmen auch einen grossen Vorteil: Sie hat einen scheinbar unendlich gefüllten Koffer voller Gold von Ihrer Reise nach Taka-Tuka mitbekommen.
Hast du das nicht, dann sollte die Selbstbestimmung eine natürliche Grenze haben. Die der Zahlungsbereitschaft Deines Kunden. Denn der zahlt nicht für Obst, Tischkicker, Offsites oder Beanies, sondern nur für qualitativ hochwertige, ihm für sein Geschäft nützende, wertstiftende Arbeit. Und gibt damit letztendlich den Rahmen für die Selbstbestimmung vor. So müsste man das Wort “selbstbestimmt” konsequenterweise in “kundenbestimmt” umtaufen.
Und das ist ein Unterschied. Kein Unternehmen wird Erfolg haben, wenn es zwar eine Wohlfühloase für Mitarbeiter ist, dabei aber nicht den Kunden in den Mittelpunkt des Handelns stellt. Richard Branson hat gesagt, dass man Mitarbeiter gut behandeln soll, damit sie das an die Kunden weitergeben. Stimmt. Alles richtig. Aber entscheidend als hauptsächlicher Motivationsfaktor für den Mitarbeiter ist eher der (wirtschaftliche) Erfolg ihrer Arbeit, ihr Wertbeitrag. Und nicht die Summe aller Goodies, die sie vom Arbeitgeber erhalten. Denn diese gibt es bei einem anderen Arbeitgeber auch und wahrscheinlich sogar noch mehr davon.
2. Was habe ich davon?
Alle für einen, einer für alle. So formulieren es die Musketiere. Sehr ehrenwert und auch im beruflichen Alltag sehr erstrebenswert. Jeder träumt davon, in einem Team zu arbeiten, in dem alles Hand in Hand geht, jeder weiß, wie der andere tickt und was der andere kann und was nicht. Da wird dann gern von “Familie” gesprochen. Eine werteorientierte Kultur wird angestrebt.
Aber wie verhält es sich hier in kritischen Situationen? Was passiert, wenn zum Beispiel der Kunde die für ihn gemachte Arbeit nicht zahlen kann oder will? Oder wenn die Timeline drückt und unbedingt nach Feierabend oder am Wochenende durchgeackert werden muss, um sie zu halten. Dann sind gemeinsame Werte schön, aber auch entscheidend?
Oder wird sich da eher die Frage gestellt: “was habe ich denn jetzt davon?”. Den größten Fehler, den man als Familienoberhaupt machen kann, ist darauf nicht vorbereitet zu sein. Reicht die gemeinsame gemeinsame Vision aus, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht? Da läuft dann oft eher das Selbsterhaltungsprogramm und dann wird es kritisch. Auf wen kann man jetzt noch zählen, wer zieht noch mit durch? Die bekannten Eigenschaften der Generation Z machen es in diesem Szenario nicht einfacher.
3. Mitarbeiter-Mix
Menschen sind nicht alle gleich. Jeder ist unterschiedlich und das ist auch gut so. Nicht umsonst stellt man crossfunktionale Teams auf. Jeder hat unterschiedliche Talente und die bewirken eine Menge, wenn man sie zusammenbringt und die Summe nutzt. Aber viele vergessen dabei, dass Menschen auch unterschiedlich motiviert ist. Nicht jeder ist in der Lage, selbstbestimmt zu arbeiten. Nicht jeder hat von Haus aus das Unternehmer-Gen und denkt dementsprechend. Hier muss ganz einfach unterschieden werden. Und das ganz bewusst von Anfang an!
Ich habe oft beobachtet, dass in Firmen versucht wird, alle von der gewünschten Organisationsform zu überzeugen, die als Ziel vorgegeben wurde. Wenn man jetzt versucht, alle Mitarbeiter 100% in so ein Korsett zu pressen, dann gibt es auch unschöne Nebenerscheinungen. Endlose Diskussionen mit “Verwaltern”, die gern den Status Quo beibehalten wollen. Das Nutzen der Möglichkeiten, die so ein modern arbeitendes Team bietet. Stichwort: Toll, ein anderer macht’s. Gefühlte fehlende Wertschätzung für das bereits Erreichte der langjährigen Mitarbeiter und damit entstehende Unzufriedenheit. Fehlende Weiterentwicklungs- möglichkeiten der Mitarbeiter, wenn alle gleichgestellt sind…
Das sind viele Aspekte, die in der romantischen Vorstellung, eine selbstbestimmte und erfolgreiche Unternehmung aufzubauen, bedacht werden müssen. Das ist eine echte Herausforderung und man muss viele Dinge vorher bedenken. Denn was einmal eingeführt ist und den Mitarbeitern Freiraum, Vorteile oder individuelle Möglichkeiten bietet, das kann man nicht ohne weiteres zurücknehmen. Denn dann rückt die Frage “Was habe ich davon?” gleich wieder in den Mittelpunkt von Diskussionen.
4. Moderne Gehaltsysteme und deutsches Arbeitsrecht mögen sich nicht
Hier noch ein paar Zeilen über persönlich gemachte Erfahrungen. In meiner letzten Firma haben wir versucht, das beste Gehaltsmodell ever für die Mitarbeiter auf die Beine zu stellen. Gemeinsam mit den Mitarbeitern wurde ein Modell entwickelt, was beispiellos ist, und nur Vorteile für die Mitarbeiter bietet. Letztlich konnte der Mitarbeiter sein Gehalt selbst festlegen, genau so arbeiten, wie es in sein Lebensmodell passt, an seinen eigenen Produktideen bezahlt arbeiten, seine Freizeit komplett selbst festlegen, seine Arbeitszeit und -Ort selbstbestimmen und noch durch verschiedene Rollen Provisionen easy dazuverdienen. In jedem Vorstellungsgespräch hiess es, “da muss doch irgendwo ein Haken sein. Das ist ja zu schön, um wahr zu sein.”. Der Punkt ist: für den angestellten Mitarbeiter hatte es keinen haken. Für die Gesellschaft schon. Arrgh.
Denn was wir leider vergessen haben, ist das worst-case-Szenario zu bedenken. Wir haben so viel Energie reingesteckt und Ideen entwickelt, die es für potentielle Mitarbeiter noch attraktiver machen, so dass wir vergessen haben, ein paar Rettungsringe beizulegen. Und hier komme ich wieder zum oben angesprochenen Punkt. Erfolgreich kann nur sein, was den Fokus der Wertschöpfung nicht verliert! Am Ende muss sich jedes System einfach rechnen. Nicht nur für den Mitarbeiter.
Unser System war so modern, dass das deutsche Arbeitsrecht komplett damit überfordert ist. Was interessieren denn da die Mitbestimmung und die ganzen Mitarbeiter-Vorteile, wenn so etwas in einem Arbeitsvertrag nicht konform zum Arbeitsrecht abgebildet werden kann? Denn da steht etwas von Mindesturlaub, maximaler Arbeitszeit, Verhalten bei Krankheit, Umgang mit variablen Gehaltsanteilen, etc. Alles muss ganz genau festgelegt sein und den bekannten Regeln des Arbeitsrechts entsprechen. Und das ist schon “uralt” und nicht kompatibel mit supermodernen Ansätzen. Daher hier mein Tip: Es lohnt sich, Gehaltsmodelle einmal mit einem Arbeitsrechtler durchzusprechen, bevor man diese umsetzt.
Ich durfte meine Erfahrungen bereits machen. Wie sieht es bei Euch aus? Habt Ihr Ähnliches erlebt und gute Ansätze gefunden?
Lass uns gern austauschen. Ich freue mich!